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Zwischen Bolzenschuss und Schlachtbank

Es ist Freitagmorgen. Wir treten auf den Hof, der sehr still ist. Das Einzige, was wir hören können, ist, wie Christoph die Messer wetzt. Heute ist es soweit: Wir werden zum ersten Mal bei einer Schlachtung dabei sein. Wir wussten es schon seit letzter Woche - am Samstag ist ein Spanferkel für eine Hochzeit bestellt. Wir fahren zur Weide, auf der die Mastschweine stehen.  Christoph strahlt eine besondere Ruhe und Souveränität aus. Er erklärt uns kurz, was passieren wird, dann geht es auch schon los. Er nimmt einen großen Metallkäfig in die Hand und betritt die Weide. Er lässt sich viel Zeit, um das Schwein auszusuchen. Um ihn herum wimmeln die Tiere, wir haben das Futter auf dem Anhänger und sie warten auf ihre Kartoffeln. Keins der Schweine ist von dem Käfig beeindruckt, obwohl die Schlachtung immer auf der Weide stattfindet. Dann geht alles ganz schnell. Christoph stülpt den Käfig über das Schwein. Er geht mit hinein, streichelt das Tier und redet mit ihm. Er setzt das Bolzenschussgerät an und das Schwein fällt auf der Stelle um. Man hört kein einziges Geräusch außer dem Knall. Kein Quieken, keine panischen Bewegungen. Die restliche Herde grunzt weiter umher und wird sofort von uns mit Futter weggelockt, damit Christoph in Ruhe arbeiten kann. Er schneidet die Hauptschlagader am Hals auf und lässt das Schwein ausbluten. Dann wird es aufgeladen und wir fahren zurück. Das Ganze hat keine 10 Minuten gedauert. Auf der Rückfahrt erzählt mir Christoph, dass er jedes Mal aufs Neue Aufregung empfindet. Das Zeitfenster zwischen Schuss und Stich ist kurz, alles muss perfekt sitzen. Auch mit dem Ausnehmen darf nicht zu lange gewartet werden.

Letzteres steht uns jetzt bevor. Das Schwein kommt in einen Bottich mit heißem Wasser. Dort werden ihm die Borsten mit der Oberhaut entfernt und die Reste abgeflämmt. Danach ist das Wollschwein nackt. Es wird aufgehangen und Christoph nimmt es vor unseren Augen bis zum letzten Organ aus. Er entnimmt die Lunge, bläst hinein und zeigt uns, wie groß sie wird, wenn das Schwein atmet. Wir müssen ein Stück rohe Leber essen, 2 Sekunden nachdem Christoph sie aus dem Schwein geholt hat. Mit dem Bauchspeck cremt er unsere Hände ein. Danach schneiden wir alle Innereien für die Füllung des Spanferkels. 3 Stunden, nachdem das Schwein von der Weide geholt wurde, hängt es auch schon am Spieß.

Ich war noch nie so fasziniert und schockiert zugleich. Uns beiden wird einmal mehr klar: Wenn wir Fleisch essen wollen, dann solches. Tiergerechter, frischer und gesünder geht es nicht. Aber wir sind uns auch einig, dass der Aufwand und die Verantwortung für uns persönlich kaum den Genuss aufwiegt. Zumindest dann nicht, wenn wir erwägen, uns selbst zu versorgen. Dann doch lieber Kleinvieh halten und den Fokus aufs Gärtnern legen.

Nichtsdestotrotz ist die Schlachtung eine Erfahrung, die wir nicht missen wollen und die uns ehrfürchtig zurückgelassen hat. Ehrfürchtig vor dem Leben, vor dem echten Handwerk und vor unserem eigenen Körper, der dem des Schweins gar nicht so unähnlich ist.

Die restliche Woche war hauptsächlich vom Ernten, Pflanzen, Einkochen, Füttern und Ausmisten bestimmt. Es gab auch viele Gespräche mit Christoph über Politik, die Ernährung der Menschheit in Zukunft und die Idiotie der derzeitigen Lebensmittelproduktion auf Masse. Am Samstag waren wir 5 Stunden wandern im Wienerwald, unter Anderem durch eine Kernzone des Biosphärenparks.

Am Montag wird unser letzter Tag in Österreich sein. Es wird langsam herbstlich und wir wollen weiter in den Süden nach Italien.

Wir haben in den letzten 2 Wochen schon sehr viel gelernt. Viele Dinge haben wir zum ersten Mal gemacht, wir haben die Lebensgewohnheiten der Familie angenommen und für uns reflektiert. Das Fazit? Selbstversorgung funktioniert, und zwar sogar luxuriös mit täglichem Verzehr von teurem und gutem Fleisch. Die Arbeit macht Spaß und ist erfüllend. Wir können gut verstehen, dass die Familie nur noch das isst, was sie selbst produziert. Typische Alltagssorgen wegen des Jobs, Burnout-Anzeichen und Existenzängste? Trotz der harten Arbeit absolute Fehlanzeige. Die Familie ist glücklich und gesund und zufrieden mit dem, was sie hat. Kleidung, Dekoration oder trendige Technik kauft die Familie nicht und es fehlt ihr auch nicht. Fast alles ist gebraucht, selbstgemacht, umfunktioniert und dadurch so charmant. Fernseher gibt es nicht, die Computernutzung wird auf das absolut Wesentliche beschränkt. Trotzdem haben wir nie den Eindruck, dass sich hier jemand einschränken muss. Im Gegenteil, der Garten und der Kühlschrank bieten ein Schlaraffenland, das keine Wünsche offenlässt.

Wir sind motiviert, auch so zu leben. Worüber wir uns allerdings sehr unklar sind, ist, ob wir wirklich große Tiere wie Schweine halten und schlachten wollen und ob die kohlenhydratfreie Ernährung auf Dauer etwas für uns ist. Außerdem kauft die Familie Kosmetik, Waschmittel und andere Nicht-Lebensmittel noch im Supermarkt. Wir sind gespannt, welche anderen Selbstversorgermodelle uns auf unserer Reise noch begegnen.