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Kraut und Rüben

Der Mondkalender sagte für diese Woche 2 Wurzeltage an. Die Anbaufläche von Yolande und Andrew (in Gänze auf dem Titelbild dieses Beitrags zu sehen) wird jedes Jahr rotiert. Auf einem Teil baut man Wurzelgemüse zusammen an, auf einem Teil Blattgemüse und auf einem Teil Pflanzen, deren Früchte man erntet. Den Wurzelteil befreien wir von den restlichen Topinamburknollen und setzen gleich ein paar davon auf dem neu festgelegten Wurzelbeet für dieses Jahr wieder in die Erde. Da die Beiden viel Topinambur haben und der auch einfach und schnell wächst, verkaufen sie einige Überschüsse im Food Hub. Das ist eine lokale Kooperative, bei der man als lokaler Erzeuger seine Ernte verkaufen und auch selbst das erwerben kann, was man selbst nicht anbaut. Zusätzlich werden über einen Bio-Großhandel noch andere Sachen wie Datteln bezogen, um das Angebot für die Mitglieder zu erweitern. Der Foodhub ist eine Einkommensquelle bzw. eine Tauschbörse für unsere Gastgeber. Er funktioniert durch das Engagement von Freiwilligen und der Abholraum befindet sich auf einem Biohof in der Nähe. Vorbestellen kann man online.

Zusätzlich dazu verdienen die Beiden pro Jahr etwa 1000£ mit ihrer Solaranlage, die durch die britische Regierung gefördert wird. Die restlichen etwa 4500£ kommen hauptsächlich durch die Vermietung der beiden Zimmer rein. Wir haben uns die Philosophie zum Thema Geld in Caenwood diese Woche nochmal genau angehört und ein paar interessante Einblicke bekommen. Die Stromrechnung liegt pro Quartal bei durchschnittlich 20£ (etwa 23€). Wie das geht? Kein Wäschetrockner, Geschirrspüler oder Fernseher, dafür Wäsche waschen und duschen vorzugsweise bei sonnigem Wetter. Standby-Schalter an fast allen Geräten werden ausgemacht und LED- oder Energiesparlampen benutzt. Es gibt im täglichen Leben jede Menge Einsparpotenzial. Die Hauptausgaben des Haushaltes sind Steuern und Versicherungen, wie überall. Es geht nicht immer zwingend darum, den Staat auszutricksen oder auf Kosten der Anderen zu leben.

Die Beiden haben ein kleines altes Auto, nutzen es aber nur, wenn unbedingt nötig. Der Herd wird mit Gas betrieben, aber ein Schnellkochtopf spart beispielsweise jede Menge Gas beim Kochen der oft verarbeiteten Hülsenfrüchte. Hier herrscht schon die Devise "Geld sparen hat oberste Priorität", denn wenn man weniger Geld braucht, muss man weniger arbeiten und hat mehr Freiheiten. Beim regelmäßigen (Billig-)Fliegen um die Welt ist natürlich klar, dass es umweltschädlich ist, aber Andrew sagt, dass er auch nicht zu dogmatisch sein will. Er tut dafür die meiste Zeit seines Lebens etwas Gutes für die Umwelt und durch seine ehrenamtliche Arbeit. Er und Yo können sich den Großteil ihrer Zeit selbst einteilen. Wenn nicht grad große Projekte wie die Hecke anstehen, arbeiten sie pro Tag durchschnittlich 2 Stunden im Garten und ansonsten ehrenamtlich für ihre Umweltbildungsorganisationen, verbringen viel Zeit beim Kochen und lesen. Sie führen auch regelmäßig 2 Nachbarshunde aus, für einen Tageslohn von 10£ jeweils. Ihr Holz für den Kamin mussten sie in 5 Jahren noch nicht ein einziges Mal kaufen. Sie bekommen das meiste geschenkt, holen Holzreste von lokalen Holzhändlern gratis ab oder haben Material von ihrer eigenen Fläche. Sie sparen aber auch insofern viel Holz, dass man auch drinnen warm angezogen sein muss und wir den Großteil des Tages draußen sind und uns durch Arbeit aufwärmen. Im Winter ist es auch irgendwie natürlich, sich einzukuscheln und nicht im T-Shirt herumzlaufen. Das Ganze ist eine Gewöhnungssache und hat mit frieren und Einschränkungen nur wenig zu tun. Die Beiden versuchen einfach, nach und nach mit weniger auszukommen und haben große Freude daran, die einfachen Dinge des Lebens wieder zu entdecken. Und wir auch.

Yolande hat 3 Masterabschlüsse, Andrew hat jahrelang als IT-Experte gearbeitet. Beide waren sehr wohlhabend und haben für ihren Job gelebt. 2006 haben sie sich bei einem Workshop in einer schottischen Gemeinschaft kennengelernt und waren beide schon skeptisch, ob ihr Leben sie noch glücklich macht. Jeder war von seinem alten Partner getrennt und hat sich viel mit alternativen Heilmethoden und Denkweisen beschäftigt. Gemeinsam haben sie dann beschlossen, auszusteigen. Sie haben den Großteil ihres Besitzes verkauft und sind um die Welt gereist. Dort haben sie ihre Freiheit genossen, Freiwilligenarbeit geleistet und von wenig Geld und mit 7kg Gepäck pro Person gelebt. Vor 5 Jahren haben sie dann das Haus mit Grundstück in Howle Hill gekauft und versuchen seitdem stetig, ihren Grad an Selbstversorgung zu erhöhen. Sie haben uns viel aus ihrem früheren Leben erzählt und wieder einmal ist es das klassische Beispiel dafür, dass Erfolg und Geld nicht so viel Wert sind. Die Familien und das gesamte Umfeld der Beiden haben sie anfangs für verrückt erklärt und sind teilweise bis heute geschockt. Aber wenn Yolande mit leuchtenden Augen erzählt, was sie für Zukunftspläne auf dem Grundstück hat, glaubt man ihr zu 100%, dass sie erst jetzt richtig glücklich ist. Kinder hat sie nie gehabt und sie hat es auch nicht bereut. Sie suchte schon immer eine sinnvolle Beschäftigung, innere Ruhe und Ausgeglichenheit, Selbstbestimmung und ein bewusstes Leben ohne Stress und Druck, auch wenn die Gesellschaft für sie etwas Anderes vorgesehen hat. Das hat sie sich mit Andrew nun selbst geschaffen und wir sind froh, für eine Weile Teil dieser gesunden Lebenseinstellung zu sein.

 

Am Mittwoch hatten wir frei, da Andrew an der Schulter operiert wurde. Kurz zuvor haben wir eine Mail von unseren ehemaligen Kommilitonen Peter, Charlotte und Lena erhalten, die einen Roadtrip durch Südengland geplant haben. Wir haben uns spontan auf ein Treffen im Forest of Dean verabredet. Wo Harry Potter sich auf der Suche nach Horkruxen versteckt hielt, gibt es einige Wanderwege, plätschernde Quellen und Aussichtspunkte. Wir sind also mit dem Bus hingefahren und haben uns dort mit den anderen getroffen. Für ein paar Stunden haben wir Geschichten aus Greifswald, Erinnerungen, Zukunftspläne und Ideen ausgetauscht und das Treffen sehr genossen. Wunderbar, dass das so unverhofft geklappt hat! Danke, dass ihr den weiten Weg auf euch genommen habt :-)

Ende der Woche haben wir unsere Fähigkeiten mal wieder erweitern können. Diesmal: Wie bauen wir eine Hütte für ein Kompostklo? Nun, Yolande und Andrew veranstalten ab und zu eine Gartenparty mit Nachbarn oder der Familie. Jedes Mal, wenn jemand auf die Toilette muss, muss er oder sie ins Haus gehen. Deshalb hat Yolande beim Holzhändler sofort zugeschlagen, als stapelweise Bretter entsorgt werden sollten. Diese nageln wir nun zu einer schönen Hütte zusammen, damit man demnächst in einen Eimer urinieren kann, das Ganze mit Asche oder Sägespänen bestreut, und - tadaa - besten Dünger erzeugt. Dieses extrem einfache System funktioniert natürlich nur mit flüssigen Ausscheidungen, eine richtige Komposttoilette ist es also nicht. Aber es spart Trinkwasser (immerhin 6l pro Spülung) und ist geruchlos. Arno hat sich um die stabile Grundkonstruktion gekümmert und Laura hat alle Wände und die Tür zusammengenagelt. Und fertig ist sie, unsere kleine Kabine, auf die wir mächtig stolz sind.

Am Wochenende kam dann der große Kälteeinbruch mit neuem Schnee und kalten Nächten. Das soll aber kommende Woche vorbei sein. Wir haben trotz des kalten Windes eine lange Tageswanderung durch das Wye-Tal gemacht. Der große Fluss hat hier einige interessante Landschaften geformt und ist ein wertvolles Habitat. Es gibt hier einen berühmten Aussichtspunkt, von dem aus man das Tal überblicken kann. Das haben wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Auf dem Weg hoch zum Felsen sind wir einen wilden kleinen Pfad entlanggewandert, durch einen riesigen Bärlauchteppich hindurch und vorbei an einer wilden Fasanenfamilie und einem Traumhäuschen mitten im Wald. Die Gegend hier ist wirklich schön und wir haben noch einiges zu erkunden.